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Schatten der Kindheit
 

(von Michaela Schlagenwerth / Berliner Zeitung vom 14.02.2015)

Ein kleines Kinderstühlchen steht auf einem abschüssigen Podest aus rohen Brettern. Verbogen, zerbeult, verkrümmt. Angestrahlt von einem gleißenden Lichtstrahl. So beginnt die Performance "Unverinnerlicht" der japanischen Performancekünstlerin Naoko Tanaka in den Sophiensälen. Es ist der Auftakt für ein luzides Spiel mit Licht und Schatten, mit Objekten und deren Abbildern und mit Menschen, die in einer Szenerie der Gewalt merkwürdig abwesend erscheinen. Sie wolle Unerinnertes untersuchen, Räume imaginieren, in die der Verstand nicht reicht, so sagt Naoko Tanaka über ihr Stück. Es ist der letzte Teil ihrer Schattentrilogie, die 2012 mit der mit mehreren Preisen ausgezeichneten Performance "Die Scheinwerferin" begann. Der Titel dieser ersten Arbeit ist Programm auch für "Unverinnerlicht". Nur dort, wohin Naoka Tanaka ihren Scheinwerfer richtet, entstehen Bilder und Schattenräume. Dunkel ist die Bühne, im Halbkreis sitzen die Menschen auf kleinen Bänken um eine verlassene Landschaft aus verbogenen Kinderstühlen, ebenso groben, wie fragilen Brett- Podesten, geborstenen Drahtseilen. Alles scheint hier aus der Balance geraten, vergessen, und dem Zerfall preisgegeben. Von der Decke hängt, auf der Seite liegend, ein großes Rad herab, daran ist ein weißer Vorhang befestigt, der zunächst das hintere Halbrund bildet. Aber bald schon erscheint eine junge Frau (Alise Michon), die im unaufhörlichen, langsamen Gleichschritt den Vorhang im Kreis zieht, der so wechselnd den Blick freigibt auf die Bühne und ihn wieder verdeckt. Dort im Rund hat sich Naoko Tanaka, ganz unauffällig und tiefschwarz gekleidet, in ihrer düsteren Stuhl-Installation niedergelassen. Zuweilen bewegt sie ihre Objekte, vor allem aber beleuchtet sie diese. Auf dem weißen, vorbeiziehenden Vorhang entstehen so riesige Schattenbilder. Von einem kleinen Stuhl etwa, dessen Sitzfläche direkt in der Mitte von einem dicken Drahtseil durchbohrt ist. Das Seil scheint sich auf der einen Seite wie eine Nabelschnur dem von der Decke hängenden Rad entgegen zu winden, und auf der anderen Seite der kleinen Sitzfläche rammt es sich zerborsten und zersplittert in den Boden. Die Kinderstühle ihrer Installation hat Naoko Tanaka aus Tokio mitgebracht. Dort hat sie Malerei und Bildhauerei studiert, bis sie 1999 ein Stipendium an der Kunstakademie Düsseldorf nach Deutschland brachte. Eigentlich war es nicht geplant, aber sie ist geblieben und hat nach und nach aus der Verbindung von Raum und Körper, Licht und Schatten eine ganze eigene, sehr hermetisch wirkende Kunstwelt entwickelt. Wie in "Unverinnerlicht" alles in der Schwebe gehalten wird, wie hier Bilder einer vergangenen Kindheit mit denen einer zerstörten Stadtlandschaft miteinander kurzgeschlossen werden, das ist beunruhigend und großartig. Unter einem der kleinen Stühle liegt ein zerknülltes Zeitungsblatt - mit einem Cartoon über Fukushima.

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