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Naoko Tanaka als künstlerisches Glanzlicht 
// Impuls Tanz 2012 
 
(Helmut Ploebst, DER STANDARD, 19.7.2012)

Wien - Eine junge Frau, die gleich eine ganze Schattenwelt zum Leben erwecken wird, sitzt erst einmal an einem Tisch und scheint zu schlafen. 
Sie hat den Kopf auf ihre Arme gelegt, und ihr Haar scheint mit dem einer vor ihr liegenden Puppe verwachsen zu sein. Mit diesem Tableau vivant leitet die aus Japan stammende Künstlerin Naoko Tanaka (37) im Kasino am Schwarzenbergplatz ihr erstes eigenes Stück Die Scheinwerferin ein.
Unter dem Tisch hat sie ein kompliziertes Arrangement aufgebaut: eine Landschaft aus unter anderem Gabeln, Messern, Saftpackungen, Zweigen, Gittern, Spielzeugeisenbahnschienen und Filmstreifen. Als Tanaka aufsteht, wird sichtbar, dass die Puppe ein detailgetreues Abbild von ihr ist. Artig stellt sich die Künstlerin vor, gibt das Kommando, das Licht zu löschen und den Sound anzustellen. Sie knipst eine kleine Taschenlampe an.

Live-Kinematografie
Was dann folgt, ist nicht nur einfach ein schönes Schattenspiel, für das sie am Ende viel Applaus vom Publikum erhält, sondern eine echte Meisterleistung. Der Körper der Performerin selbst changiert stets zwischen Anwesenheit und Verschwinden. Als "Scheinwerferin" ist Tanaka mit ihrer Lampe sozusagen ein menschlicher Projektor. Die kleine Welt unter dem Tisch repräsentiert das Unterbewusste ihres reglos daliegenden Puppen-Alter-Egos. Der Schein der Lampe erzeugt große Schatten auf zwei weißen Wänden: eine beunruhigende Welt von Zeichen und Symbolen.
Die Geräuschkulisse - erst Klaviermusik, dann das Rattern einer Eisenbahn, ein Herzschlagrhythmus und Hundebellen - unterlegt diese in genau kalkulierten Abläufen bewegten Schattenbilder. So entsteht eine Live-"Kinematografie", in der das traditionelle Schattentheater ebenso geladen ist wie die Bildästhetik des japanischen Manga.
In einer Schlüsselpassage hält Tanaka Filmstreifen vor ihre Lampe. Deren Schatten verweist zurück auf die Ursprünge des Lichtbildes. So versetzt Tanaka die Choreografie aus ihrer ursprünglichen Form der Organisation von Körperbewegungen im Raum in einen durch die Bewegungen der Projektorin geleiteten Tanz des Raums selbst. Eine Strategie, die sowohl das Expanded Cinema als auch die in den vergangenen Jahren so stark gewordene erweiterte Choreografie tangiert.

Die Künstlerin bereist ihre Erinnerungen an vergangene Essstörungen, die Lebenskrise ihres Körpers. Und sie repräsentiert als in Deutschland arbeitende Japanerin jenes postmigrantische Kulturschaffen, das dem europäischen Geistesleben heute neue Konturen verleiht. Alles in allem: Zeitgenössischer kann ein Tanzstück nicht sein.  
 
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