"das Orschideenzimmer"
Premiere: Juli. 2002 / Salon des Arts, Düsseldorf
(Bühnenversion: Okt. 2003 / tanzhaus nrw, Düsseldorf)
Dauer: ca. 60 Min.
Choreografie/Tanz: Morgan Nardi, Laura Delfino
Visuelle Kunst: Naoko Tanaka
Sound: Naoko Tanaka
(Lichtdesign bei Bühnenversion): Christoph Burger
Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Düsseldorf
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Tourdaten
25. und 26. Oktober 2003; tanzhaus nrw, Düsseldorf;
im Rahmen des Tanz Tank spezial "dance space collection"
6., 7., 13. und 14. Juli 2002; Salon des Arts im Atelierhaus Randolff, Düsseldorf
Presse
Das Klirren des Löffels im Porzellan der Tasse
Erst der Japaner in Turnschuhen. Dann sein an die Wand gemaltes Schattenbild, das vom Choreografen ausgeschnitten und weggenommen wird. Eine Welt, die im Dämmerlicht verschwimmt, während der Körper des Japaners über den Boden fließt. „Jemand bohrte mir ein Loch in den Schädel und puhlte darin herum." Spätestens an dieser Stelle bohrt es auch im Bewusstsein des Zuschauers.
Aus den Verstärkern plätschert Wasser, droht tief hallendes Metall. Morgan Nardi ist in Murakami Harukis „Hard-boiled Wonderland" ge-landet, ohne vorher irgendetwas davon verlauten zu lassen: „1," (eins komma) nennt sich lapidar das neue Stück des Düsseldorfer Choreografen und ehemaligen „Neuer Tanz" - Ensemblemitglieds. Dahinter versteckt sich ein eng an Harukis Kultroman angelehntes Kabinettstück zum Thema Identität, Sein und Schein - eine leise Fantasie über die Koexistenz realer und vorgestellter Welten in einem einzigen Menschen.
Morgan Nardi choreografiert vor aller Augen. Eine Gestalt im Hintergrund, ständig unauffällig präsent, dirigiert und überwacht er leise jede Handlung seiner Hauptfigur Hironori Sugata. Lange hält er den Scheinwerfer, in dessen Licht Sugata sich bewegt: wie abwesend, dennoch extrem konzentriert. Mit einer ruhig lakonischen Ergebenheit in jegliches Geschehen: Er geht wie aufgezogen über die Bühne, rhythmisch in einem vorgegebenen Takt - noch im Kopfstand laufen die Füße weiter. Eine Spielfigur, deren Identität tief unter die Oberfläche gesunken scheint.
Die Sinne werden öffentlich
Irgendwo aber ändert sich etwas, leuchtet eine unruhiger werdende, innere Welt auf. In stillen Videobildern von U-Bahnschächten huscht der zu Beginn aus schwarzer Pappe ausgeschnittene Schatten als weiße Form über die Wände. Geräusche und Musik brechen immer wieder in langsamere Geschwindigkeiten herunter.
Gefilmte und fotografierte Bilder auf der Hintergrundleinwand wandeln sich wie von Geisterhand in ständig neu eingefärbte Zeichnungen. Einmal scheint es sogar, als wären die Sinne des Protagonisten öffentlich geworden: Jedes von ihm erzeugte Geräusch bekommt lautsprecherverstärkt gläserne, tiefe Resonanz - das Klirren des Löffels im Porzellan der Tasse; das helle Sprudeln des Tees. Eine Wahrnehmung wie auf Droge.
Über eine Stunde lang lebt Sugata vor und hinter den Bildern, verschwindet auch mal auf die andere Seite der Leinwand: Alices Gang durch den Spiegel ins phantastische Wesen ihrer selbst. Wer Murakamis Buch nicht kennt, dem werden Nardis schwebende, selbstverständlich absurde Bilder noch geheimnisvoller erscheinen. Wie mit einer Geisterbahn fährt er durch die Wirklichkeits-Ebenen mithilfe visuelle Kunstgriffe der Videokünstlerin Naoko Tanaka und Suspense-Klängen von Andrei Loginov.
Aber Nardi bleibt nicht einfach im „Hard-boiled Wonderland". Er ver-bindet die Stimmung des Buches mit Reflexionen über die Beziehung von Choreograf und Interpret, Vorstellung und Realisierung. Anspielungsreich spiegeln sich äußere und innere, reale und vorgestellte Welten ineinander. Sehr klar gearbeitet und erzählt, dennoch mehr Poesie als Prosa, lässt „1," jedem den eigenen Weg ins Stück. Philosophische Fragestellungen als sinnliches Rätsel: Mit Nardi, Tanaka, Loginov und Sugata ist alles wunderbar in der Schwebe.
Gesa Pölert, Rheinische Post Düsseldorf, 17.05.2003